Die prächtigen Sgraffito-Malereien an der Außenfassade des Tübinger Rathauses ziehen die Blicke der Touristen auf sich. Bereits seit 1435 diskutiert die Stadtverwaltung im „großen Sitzungssaal“ politische und rechtliche Entscheidungen. Ende des 15. Jahrhunderts setzte Graf Eberhard im Barte ein drittes Stockwerk auf den bestehenden Bau auf – allerdings ohne Rücksicht auf die Gesamtstatik. Bereits Ende der 1960er Jahre versuchte man, das Problem provisorisch durch Stahlträger und Beton zu beheben, doch 2011 wurden erste Risse in der Fassade sichtbar - die Bestände des Stadtarchivs im dritten Stock überstiegen die zulässige Traglast um ein Vielfaches.
Die Umbauarbeiten begannen 2012 nach Plänen des Architekten Jörg Weinbrenner. Im Zuge der Bauarbeiten stellte Weinbrenner die historische Funktionalität und das altehrwürdige Erscheinungsbild wieder her. So öffnet sich das Rathaus wie zuletzt vor 500 Jahren durch sein lichtdurchflutetes Entrée zum Marktplatz. Klare Scheiben mit weniger Verstrebungen sorgen auch in den übrigen Stockwerken für mehr Transparenz. Passend zum gesamten Ensemble haben sich die Architekten für die Schalterserie Gira E2 entschieden, deren reduziertes Design und klare Formensprache hervorragend zum innenarchitektonischen Konzept passt.
Wer den Bund fürs Leben schließen möchte, kann sich nun in der gewölbt getäfelten „großen Gerichtsstube“ das Ja-Wort geben. Der originalrestaurierte ehemalige Sitz des Stadtgerichts schließt an den repräsentativen historischen Empfangsraum aus dem Jahr 1596 an.
Doch die Umbauarbeiten des über 500 Jahre alten Gebäudes bargen auch einige böse Überraschungen. Eine Stahlstütze aus den 60er Jahren hatte eine mittelalterliche Säule im Untergeschoss gespalten. Zudem fraß sich der gescheckte Nagelkäfer durch die Eichenstütze. Um die tragende Säule zu sanieren, musste das Haus in diesem Bereich angehoben und wieder abgesenkt werden. Die Reaktivierung des alten Tragwerkes verbessert Statik und Brandschutz des historischen Baus maßgeblich.
Ein Großteil des Budgets wendete die Stadt für eine energieeffiziente Sanierung auf. Durch die Erneuerung der gesamten Haustechnik werden künftig Energiekosten eingespart. Auch der CO2-Ausstoß des Altbaus reduziert sich nun um bis zu 60 Prozent. Das eigene Blockheizkraftwerk kann sogar umliegende Gebäude mit Wärme versorgen. Eine neue Lüftungsanlage, Fenster mit besseren Dämmeigenschaften und ein LED-Beleuchtungskonzept vervollständigen die Modernisierung - nun ist das Tübinger Rathaus bestens auf die Zukunft vorbereitet.